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O2-World zehrt von städtischen Bühnen

Zieht die O2-World tatsächlich spürbar Veranstaltungen nach Berlin, die in der Stadt sonst nicht stattgefunden hätten? Taugt sie also als Standortfaktor? Oder saugt sie vielmehr den städtischen Hallen und Bühnen die Kundschaft? Eine Recherche geht den bislang angekündigten Veranstaltungen in der O2-World auf den Grund und fragt, wo sie ohne die neue Halle vermutlich stattgefunden hätten.

Als die O2-World in Berlin eröffnet wurde, war viel davon die Rede, sie würde Veranstaltungen nach Berlin locken, die sonst einen Bogen um die Stadt gemacht hätten. Eben weil es eine solch große und moderne Halle sei und Berlin bislang nichts dergleichen hätte bieten können.

Diese Behauptung wurde sicherlich aufgestellt und betont, da auch mal wieder die Runde machte, einige städtische Hallen hätten wohl mit massiven Einnahmeverlusten zu kämpfen, da regelmäßige Spiele der Eisbären (Eishockey) und von Alba (Basketball) von ihnen abgezogen wurden und von nun an in der O2-World stattfinden. Auch einzelne Spiele der Füchse (Handball) sollen in dieser Saison bereits in der Halle des Anschutz-Konzerns laufen. Dabei hatte Berlin bereits 12 Millionen Euro für die Planung und Erschließung des Anschutz-Geländes ausgegeben.

Die Mär von der Super-Standort-Halle

Aber kommen wir zurück zu den Behauptungen, Berlin werde vielmehr von der neu eröffneten Halle profitieren:

Dank der O2-World erlebt Berlin Events, die ohne diese moderne Multifunktionsarena nicht in unsere Stadt gekommen wären: Das sagte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, aus Anlass der heute stattfindenden feierlichen Eröffnung der Halle am Ostbahnhof.
Pressemitteilung der Senatskanzlei vom 10.9.08

[Senats-Sport-Staatssekretär Thomas] Härtel: "Die O2-Halle konkurriert mit London und Paris", also weniger mit Velodrom und Schmeling-Halle.
Neues Deutschland vom 6.9.08

[Detlef Kornett, Europa-Chef der Anschutz Gruppe:] Schließlich bringe das Unternehmen nun Künstler in die Stadt, die mangels geeigneter Auftrittsmöglichkeiten "bislang einen Bogen um Berlin" gemacht hätten.
Berliner Morgenpost vom 9.9.08

Diese Aussagen suggerieren nicht nur, die Anschutz-Halle könne ganz gut von Veranstaltungen leben, die sie selbst nach Berlin und damit nicht von anderen Berliner Bühnen abziehe. Es schwingt gleichsam mit, die Halle stelle einen zusätzlichen wirtschaftlichen Standortfaktor für die Stadt dar, der die kulturelle Attraktivität der Stadt erhöhe. Noch mehr: Sie helfe es, Berlin auf eine Stufe mit den Global Cities London und Paris zu heben - ein fortwährender Traum des Berliner Politfilzes, der schon so manche im wahrsten Sinne des Wortes schwerwiegende Fehlentwickung provoziert hat. Bis hin zum Berliner Bankenskandal. Skepsis ist also angebracht: Nur weil ein paar Hanseln dies und jenes Behaupten, muss es noch lange nicht Hand und Fuß haben.

Nachgeprüft

Jede von Anschutz Entertainment angekündigte Veranstaltung, die bis zum Jahresende in der O2-World laufen soll, wurde also daraufhin überprüft: Wo hätte sie vermutlich stattgefunden, gäbe es die O2-World nicht? Die Sportveranstaltungen gastierten bislang regelmäßig in anderen Berliner Hallen. Die musikalischen Events sind dagegen nicht ganz so leicht zu beurteilen, da sie nicht in einer vergleichbaren Regelmäßigkeit stattfinden. Also wurde die jeweils letzte Tournee recherchiert. Wo gastierten die Künstler_innen damals in Berlin? Oder machten sie womöglich einen Bogen um die Stadt?

Und jetzt ein bisschen Statistik

Bis Jahresende wurden von Anschutz bislang 47 Veranstaltungen in der O2-World angekündigt. Davon sind 33 Events Sportveranstaltungen, die bislang in den städtischen Hallen Velodrom, Max-Schmelinghalle oder im Sportforum Hohenschönhausen stattgefunden haben bzw. ohne den Bau der O2-World dort stattfinden würden. Hierzu gehören die regelmäßigen Spiele von Alba und den Eisbären genauso wie einige Spiele der Füchse, außerdem Sonderveranstaltungen wie "Night of the Jumps" oder Box- und Wrestlingveranstaltungen.

Von den verbleibenden 14 Musik-Veranstaltungen - der Dalai Lama hatte ja bereits abgesagt - haben lediglich 2 bei ihrer letzten Hallen-Tournee nicht nach Berlin gefunden. Das heißt, dass 4% der Veranstaltungen in der O2-World möglicherweise ohne diese neue Halle nicht in Berlin gastiert hätten.

Demgegenüber stehen rund 87% der Veranstaltungen in der O2-World (41 von 47), die zuvor in städtischen Hallen (oder auf städtischen Freiluftbühnen) stattgefunden hatten. Zu den von dieser Abwanderung betroffenen Veranstaltungsorten gehören die Max-Schmeling-Halle, das Velodrom, das Sportforum Hohenschönhausen, die Waldbühne, die Freiluftbühne Wuhlheide, das Tempodrom und die Zitadelle Spandau.

Für das Jahr 2009 hat die Anschutz Entertainment bislang folgende "Acts" angekündigt: Die Puhdys, André Rieu, Udu Jürgens, Tina Turner, Die Flippers und James Last. Selbst Tina Turner hatte bei ihrer letzten Tour den Weg nach Berlin gefunden und gastierte im Olympiastadion. Und bei den übrigen Musiker_innen ist offensichtlich, dass sie garantiert nicht der O2-World wegen nach Berlin kommen.

Was heißt das?

Die Behauptung, die O2-Mehrzweckhalle zöge (in relevantem Umfang) "internationale Acts" nach Berlin, die sonst nicht in der Stadt gastieren würden, muss also zurückgewiesen werden: Derlei Fälle stellen sich vielmehr als seltene Ausnahme dar. Dagegen werden den Veranstaltungshallen in städtischem Besitz durch das Wirken der Anschutz Entertainment massiv Einnahmen entzogen, die offensichtlich aus dem Landeshaushalt ausgeglichen werden müssen.

Über kurz oder lang dürfte sogar die Schließung der einen oder anderen Halle drohen, so wie auf eine Sanierung der (bei Künstler_innen sehr beliebten) Deutschlandhalle angesichts der Konkurrenzsituation in Berlin bereits verzichtet worden ist.

Gleichzeitig wurde deutlich: Der Anschutz Entertainment gelingt es, für den Zeitraum von einem halben Jahr schlappe zwei Veranstaltungen nach Berlin zu ziehen, die es zuvor nicht in die Stadt verschlagen hatte: Elton John und die Nokia Night of the Proms. Fazit Teil 1: Das macht den Kohl nicht fett, bringt weder bedeutende Einnahmen noch Anziehungskraft für Berlin. Und ist weit davon entfernt, den Einnahmeverlust der städtischen Hallen auszugleichen. Fazit Teil 2: Paris und London sind nach wie vor weit, weit weg...