Ein Leben ohne Angst für alle in Kreuzberg und überall

Start | Archiv | Info | Links | Über uns | Kontakt

Bericht vom Graefekiez-Spaziergang am 7. November 2010

Nach den drei Kiez-Spaziergängen im Oktober (Alt-Treptow, Neukölln-Schillerkiez, Reichekiez in Kreuzberg) fand Anfang November ein vierter Spaziergang statt: im Gräfe-Kiez, ebenfalls in Kreuzberg.

Es wur­den Häu­ser in der Böckh­stra­ße, zwei­mal Grae­fe­stra­ße, Dief­fen­bach­stra­ße und Grimm­stra­ße be­sucht. Dabei hat­ten wir uns vor­ge­nom­men, über die dort statt­fin­den­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den Ei­gen­tü­mern zu spre­chen und auch als zwei­tes Thema den Ein­fluss des Tou­ris­mus auf den Kiez zu zei­gen. Ver­drän­gung der Mie­ter_in­nen, mög­lichst schnel­le Ren­di­test­ei­ge­rung durch hohe Mie­ten bei Neu­ver­mie­tung und Um­wand­lung zu Ei­gen­tum ent­spre­chen aus un­se­rer Sicht im We­sent­li­chen einer Dy­na­mik der Er­zie­lung von Ren­di­te auf den Im­mo­bi­li­en­markt.

Die Fol­gen für die Mie­ter_in­nen sind die Ver­su­che der Ei­gen­tü­mer, Hin­der­nis­se bei der Ren­di­te­er­zie­lung zu be­sei­ti­gen. So sind Ei­gen­be­darfs­kün­di­gun­gen auch ein Mit­tel der Ver­trei­bung be­son­ders von Be­stands­mie­tern, die seit Jah­ren in dem Miet­ver­hält­nis ste­hen. Hier­zu wer­den alle nahen Ver­wand­ten der Ei­gen­tü­mer her­an­ge­zo­gen, um – na­tür­lich bei den guten Woh­nun­gen im Im­mo­bi­li­en­be­sitz – neue Miet- und Ei­gen­tums­ver­hält­nis­se zu er­zwin­gen.

Eine an­de­re Va­ri­an­te ist aber auch die bloße Ver­kün­di­gung von Mo­der­ni­sie­run­gen mit zu er­war­ten­den enor­men Mietstei­ge­run­gen. Hier im Grae­fe­kiez gibt es hier­vor ein Hin­der­nis im Mi­lieu­schutz, so dass die Ei­gen­tü­mer der Häu­ser viel­fach nur etwas vor­täu­schen, was auf­ge­klär­te Mie­ter_in­nen leicht durch­schau­en und als bloße Luft­schlös­ser er­ken­nen.

Ist denn die Ver­wer­tungs­ket­te ab­ge­schlos­sen, wird das Haus ver­äu­ßert bzw. in Ei­gen­tums­woh­nun­gen auf­ge­teilt. Nicht immer wohnt in den Ei­gen­tums­woh­nun­gen der Be­sit­zer, oft ist der Ei­gen­tü­mer am Ende der Ver­wer­tungs­ket­te und ver­sucht nun sein teuer er­wor­be­nes Ei­gen­tum mit Mietstei­ge­run­gen zu ver­mie­ten. Bei Häu­sern, in denen diese Um­wand­lung schon ge­sche­hen ist, zer­fällt für Mie­ter_in­nen oft der Bezug zum Haus durch häu­fi­ge Neu­ver­mie­tung, also Wech­sel von Miet­ver­hält­nis­sen und der so­zia­le Zu­sam­men­halt zer­bricht. So wer­den in die­sen Häu­sern die Woh­nun­gen von den ein­zel­nen Ei­gen­tü­mern ver­ge­ben. Ein Neu­mie­ter hat es also hier nicht mit einer oft be­ste­hen­den ein­zi­gen Haus­ver­wal­tung zu tun, son­dern mit den je­wei­li­gen Ei­gen­tü­mern der Woh­nun­gen im Haus.

Im Grae­fe­kiez kommt noch eine an­de­re Ei­gen­tüm­lich­keit zum tra­gen: die Be­sit­zer der Ei­gen­tums­woh­nung woh­nen dort nur zeit­wei­se im Jahr und ver­mie­ten dann an Un­ter­mie­ter_in­nen mit be­fris­te­ten Ver­trä­gen oder ver­mie­ten an Tou­ris­ten über das In­ter­net. Im Haus sind dann die Mie­ter mit stän­dig un­be­kann­ten Be­woh­nern kon­fron­tiert und diese haben ge­gen­über den Be­stands­mie­tern an­de­re Be­dürf­nis­se – Par­tys und Ru­he­stö­run­gen sind hier häu­fig, bei zu­neh­men­der Iso­la­ti­on der Haus­be­woh­ner un­ter­ein­an­der.

Tou­ris­mus im Grae­fe­kiez kommt also aus den Häu­sern her­aus und aus den an­gren­zen­den Hos­tels und Fe­ri­en­wohn­an­la­gen (Ma­ri­an­nen­stra­ße und der Ur­ban­stra­ße). Es ist zu ver­mu­ten, ein­zel­ne Haus­ei­gen­tü­mer ver­su­chen auf diese Weise über die Ver­mie­tung von Tou­ris­ten­woh­nun­gen auch Häu­ser zu ent­mie­ten.

Aus­wir­kung ist im Som­mer die zu­neh­men­de Ge­räusch­ku­lis­se der ver­kehrs­be­ru­hig­ten Grae­fe­stra­ße, die viele Vor­der­haus­be­woh­ner in­zwi­schen stört. Die Gas­tro­no­mie, die sich dort in­zwi­schen an­ge­sie­delt hat und dem Be­dürf­nis auch der Tou­ris­ten ent­ge­gen­kommt, wird wie­der­um durch Ge­wer­be­mie­ten­stei­ge­rung ge­zwun­gen, die Prei­se hoch zu hal­ten und un­ter­liegt somit einem zu­neh­men­den Um­satz­druck. Hier gilt es Ver­mitt­lung im Sinne eines Kodex zwi­schen Kiez­be­woh­nern und Ge­wer­be zu er­schaf­fen, der die zu­neh­men­den Pro­ble­me re­gu­liert.

Der Pro­blem­be­reich Ad­mi­ral­brü­cke – wo sich auf öf­fent­li­chen Raum im Som­mer bis zu 300 Leu­ten auf der Brü­cke fried­lich tref­fen, führt zu der Frage, wie das tou­ris­ti­schen An­ge­bot und aber auch das An­ge­bot an Treff­punk­ten im Kiez für Leute mit wenig Geld be­dient wird. Eine Ver­trei­bung mit Po­li­zei­ge­walt führt bes­ten­falls zu einer Ver­la­ge­rung der nächt­li­chen Ru­he­stö­rung in die Grimm­stra­ße und an­de­re– ins­be­son­de­re auf den dor­ti­gen Spiel­platz bzw. in die Grae­fe­stra­ße.

Die Um­wand­lung der Woh­nun­gen in Fe­ri­en­woh­nun­gen muss al­ler­dings ge­stoppt wer­den – eine Zweck­ent­frem­dungs­ver­bots­ver­ord­nung wird hier kaum grei­fen. Die Um­wand­lung in Ei­gen­tums­woh­nun­gen muss in­ner­halb der In­nen­stadt ver­bo­ten wer­den, bzw. einem er­schwer­ten Ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren un­ter­lie­gen. Haus­ver­wal­tun­gen und Ei­gen­tü­mern, die mit Lu­xus­mo­der­ni­sie­run­gen im Mi­lieu­schutz­ge­biet Mie­ter_in­nen be­dro­hen (ALW/Bahe), muss en­er­gisch ent­ge­gen ge­tre­ten wer­den. Fir­men, die mit dem Miet­ma­nage­ment nur das Ziel der Ent­mie­tung ver­fol­gen (Zie­gert), muss aus dem Kiez her­aus ge­sagt wer­den: Wem ge­hört der Kiez?

Der Tou­ris­mus be­zieht sich auf eine At­trak­ti­vi­tät eines Kreuz­bergs, wel­ches ge­ra­de durch die so­zia­le Mi­schung und der un­kon­ven­tio­nel­len Le­bens­sti­le bis in die Jahr­tau­send­wen­de ge­prägt war. Hier soll­te aus dem Kiez her­aus ver­sucht wer­den, al­ter­na­ti­ve An­ge­bo­te an­statt der Bal­ler­mann­tou­ris­mus­tour an­zu­bie­ten. An die Stadt­ent­wick­lung ist zu fra­gen, wer ent­wi­ckelt den Kiez? – In­ves­to­ren, die reine Ren­dit­ein­ter­es­sen durch­set­zen oder deren Be­woh­ner.

Me­di­as­pree und an­de­re Pro­jek­te sind wohl kein ge­eig­ne­tes Bei­spiel ver­ant­wort­li­cher Stadt­ent­wick­lung. Dem Kiez feh­len al­ler­dings die Orte der Ei­gen­ent­wick­lung, die auf die ent­ste­hen­den Pro­ble­me re­agie­ren und in­ter­ve­nie­ren kön­nen.

(geklaut von "Steigende Mieten stoppen")